Was Mediatoren von Fußballern lernen können

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Wenn Fußballer spielen, nutzen sie das gesamte Spielfeld aus und schießen die Bälle weit über den Platz, der gesamte verfügbare Platz wird bespielt. Das macht vor allem deswegen sehr viel Sinn, weil an den äußeren Enden des Spielfelds die Tore stehen.
Wenn Menschen streiten, findet der Konflikt oft im Mittelfeld – zwischen den beiden Meinungen – statt. Das macht auch viel Sinn, weil eine gemeinsame Lösung sich oft im gemeinsamen Überschneidungsbereich entdecken lässt.

Wenn Mediatoren sich mit ihren Konfliktparteien jedoch auch genauer in den Außenbereichen umschauen und diese beleuchten, gibt es oft Erstaunliches (und oft Neues) zu entdecken.

Es ist ein wenig wie mit dieses Stereoanlagenreglern von gaaanz früher, mit denen man die Lautstärke von ganz links nach ganz rechts verschieben konnte. Bei alten Anlagen wurde der Regler mit der Zeit ein wenig „knisterig“ und erst durch mehrfaches schwungvolles Hin-und-her-Schieben von ganz links nach ganz rechts konnte wieder die gesamte Bandbreite des Reglers genutzt werden.

Viele Konflikte suchen ihre Lösung in diesem mittleren Bereich, weil es außerhalb so „knisterig“ wird und da vermutlich „nichts zu holen“ ist.

Ich denke jedoch, dass es sehr interessant ist, genau diese Außenbereiche zu beleuchten, also das gesamte Feld des Konfliktes zu betrachten, alle Inhalte auszutauschen.

Wie erreicht man diese Bereiche, die der Fußballer schon von Natur aus erreichen muss, weil dort sein Ziel, sein Tor steht?

Ein ganz famoses Mittel, um dorthin zu gelangen, ist die Übertreibung.

Im Spiegel stand am 15.07.2014: „Verhandlungstaktik: Paradoxes Denken erschüttert feste Meinungen„, also „bei Gegnern ihre eigenen Argumente ins Irrationale zu überspitzen“.
Verfolge ich den Spiegel-Artikel zu seiner Quelle, verweist er auf „Paradoxical thinking as a new avenue of intervention to promote peace“ also „Paradoxes Denken als neuen Weg der Intervention zur Förderung des Friedens“, ein Artikel vom 18.06.2014 aus der Zeitschrift PNAS (PNAS über sich selbst: „PNAS ist eine der weltweit am häufigsten zitierten multidisziplinären wissenschaftlichen Zeitschriften“).

Paradoxes Denken als neuer Weg?

„Darin steckt viel Gutes und viel Neues. Nur ist das Neue daran nicht gut und das Gute daran nicht neu.“ – diesen Satz kenne ich von Dr. Gerhard Schwarz, einem von mir sehr geschätzten und sehr humorvollen Vor- und Nachdenker.

Gerhard beschreibt in „Die Religion des Geldes: Wege aus der Krise des Kapitalismus – Ein Zukunftsszenario“ die Bearbeitung von Widersprüchen durch die Dialektik.

Klingt kompliziert, ist aber eine famose und altbewährte Sache:

„Diese Extremierung, indem eine Streitpartei der jeweils anderen Seite bedingungslos Recht gab, mit Aufzeigen der Konsequenzen, führte zu einer sehr nachdenklichen neuen Phase, der dritten Phase oder dem dritten Lernschritt.“

Also Annäherung der Konfliktparteien durch Überspitzung der Argumente der Gegenseite.

Wie hieß es oben? „Darin steckt viel Gutes und viel Neues. Nur ist das Neue daran nicht gut und das Gute daran nicht neu.“

Gut daran finde ich, was sich sowohl im PNAS-Artikel als auch bei Dr. Gerhard Schwarz bewährt hat: Das Überspitzen.

Neu bei dem Modell aus den USA ist nicht das Überspitzen der Gegenseite, sondern der eigenen Seite.

Das PNAS-Modell überspitzt also die eigene Seite, das Dr.-Gerhard-Schwarz-Modell überspitzt die Gegenseite.

Das Instrument der Übertreibung (in Mediationen) hat viele Vorteile:

  • Kennenlernen der gesamten inhaltlichen Bandbreite des Konfliktes.
  • Durch Übertreibungen entsteht im besten Fall Humor, der (wenn er nicht zu früh auftritt) verbindend wirken kann.
  • Durch Übertreibung wird beiden Seiten bewusst, dass es einen Bereich gibt, der „Zu viel“ ist — und dass man sich darin sogar einig ist. Es könnte ein erstes gemeinsames Meinungs-Heureka-Fragment sein, das noch nicht wirkliche „echte“ Einigkeit ist — aber die Einigungserfahrung vor-erleben lässt.
  • Interessant ist auch, wenn eine Konfliktseite (A genannt) noch mehr A-igkeit ablehnt. Für die B-Seite ganz erstaunlich, weil sie denkt, für A kann es gar nicht a-ig genug sein.

Es bleibt die Frage zu beantworten, ob die Übertreibung als Stilmittel sinnvollerweise eher auf die eigene Sicht (PNAS-Modell) oder die des Konfliktgegenübers (Dr.-Gerhard-Schwarz-Modell) angewandt werden soll. Spontan bin ich geneigt, hier meinem Herzen zu folgen und zweiteres zu bevorzugen. Das Übertreiben der Gegenseite fällt leichter und ermöglicht — richtig gerahmt — prächtige Perspektiven um zu lernen, das gesamte Spielfeld zu nutzen.

 

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